Ein Gespräch mit der Finnin Elvi Kurri, Patin vieler Welpen, die später zu Blindenführhunden geschult wurden.
Wir haben uns mit Elvi um 8.00 Uhr morgens in einem Rigaer Hotel verabredet. Auf dem Weg dorthin überlege ich, wie wird wohl Elvi Kurri sein, eine Frau, die für sehr viele zukünftige Blindenführhunde Patenmutter war und dafür den finnischen Verdienstorden erhalten hat. Auch jetzt wird Elvi, ohne lange zu überlegen, unserem Verein helfen und einen Welpen übernehmen. Sie hat Verständnis dafür, dass es in Lettland noch schwierig ist, Patenfamilien für angehende Blindenführhunde zu finden, da dies für Lettland etwas vollkommen neues ist.
Elvi mit ihrem neuen Patenwelpen
Am Hoteleingang werde ich lächelnd von Elvi erwartet. Sie ist ein wenig aufgeregt wegen des bevorstehenden Interviews. Aber es sind nur die ersten Minuten, danach lockert sich das Gespräch und Elvi könnte bis zum Abend von ihren Erlebnissen mit Hunden erzählen. Elvi hat ihr Leben lang Tiere geliebt, sie hatte sich immer einen eigenen Hund gewünscht, aber ihre Lebensumstände haben es nicht erlaubt. Zweimal wurde sie aus Karelien evakuiert, auch die Arbeit hat sie voll eingespannt. Sie hat im Büro gearbeitet, hat Papier, Kleidung und Käse verkauft, erzählt Elvi lächelnd.
Aber jetzt ist sie frei und kann machen, was ihr Herz begehrt. Elvi lebt in Vanta, dort befindet sich auch eine Blindenführhundschule, in der Hunde sowohl gezüchtet als auch trainiert werden. Eines Tages erfuhr sie, dass Patenfamilien für angehende Blindenführhund-Welpen gesucht werden. Das war eine wunderbare Möglichkeit, endlich ihren Traum vom eigenen Hund zu verwirklichen, auch wenn nur für eine beschränkte Zeit. Die Jahre vergingen, die Hunde wechselten, es waren Labradore, Goldenretriever, auch Deutsche Schäferhunde und sogar zwei Rentierhunde aus Lappland. Elvi ergänzt, dass dies sehr kluge und gute Hunde sind, die aber nach der Arbeit ihre Freiheit benötigen. So musste sie manchmal in der Nachbarschaft nachfragen, ob jemand ihren Ziehhund gesehen hat. Als ich mich nach ihrem Tagesablauf erkundige, lächelt Elvi wieder, alles wird dem Hund untergeordnet. Morgens wird sie vom Hund geweckt, anfangs nähert er sich langsam dem Bett, kommt immer näher und zum Schluss legt er seine Schnauze auf ihre Wange. Dann ist es Zeit für Elvi aufzustehen und den Hund in den Garten zu lassen.
Dies klingt einfach und schön, aber ihr Tagesrythmus ist streng geregelt. Jeden Tag geht sie mit ihrem Welpen in die Stadt, überall wo es mit Hunden erlaubt ist, und beobachtet seine positiven wie auch negativen Eigenschaften. Elvi empfindet, dass sie ein Hundeleben führt: ich fühle seine Wünsche, sehe seine Reaktionen voraus, die negativen Dinge werden sofort vergessen, es gibt keine Strafen, positives Verhalten wird belohnt. Für sie war nur der erste Abschied von ihrem Ziehhund schwer. Die Hunde kommen zu Elvi in verschiedenem Alter, der jüngste war erst 7 Wochen alt. Gewöhnlich sind sie älter. Man muss sie an Menschen, Tiere, verschiedene Transportmittel, viele wichtige Alltagsdinge gewöhnen und den Grundgehorsam beibringen.
Mich interessiert es, ob sie zwischen all den vielen Hunden einige besonders gern hatte . Elvi erinnert sich traurig an einen, ihren 7.Hund. Er kam aus Deutschland, wurde bei der Polizei aussortiert , da als Diensthund ungeeignet. Er hatte Probleme mit Männern, und die Schule suchte eine Frau, die ihn nehmen wollte. So kam der schöne Deutsche Schäferhund zu Elvi, beide waren ein perfektes Team, mittlerweile sind aber schon 13 Jahre vergangen, seit er verstarb. Elvi erzieht nicht nur angehende Blindenführhunde, sondern ist auch Assistentin für Blinde. Sie hat es sich selber beigebracht, indem sie geschulte Assistente bei ihrer Arbeit beobachtete.
In Finnland sind gemeinsame Wanderungen für Sehbehinderte sehr beliebt, die einen oder mehrere Tage dauern – mit Übernachtungen in Zelten. Daran beteiligt sich Elvi gerne und hat im Laufe der Jahren viele Menschen kennengelernt. Ihr fällt es schwer, sich an alle zu erinnern. So fragt sie immer, wann haben wir uns zum letzten Mal gesehen? Das ist ein kluger Gesprächsanfang, so hat sie Zeit, sich im Laufe des Gespräches zu erinnern.
Auch in Finnland ist es schwierig, für Welpen Patenfamilien zu finden, ähnlich wie in vielen anderen Ländern. Die Menschen schließen ihre Schützlinge ins Herz, und es fällt ihnen schwer, sie wieder abzugeben. Zur Zeit gibt es für die Patenfamilien einen ausführlich ausgearbeiteten Plan, in dem auf die Minute genau steht, was die Familie machen soll. Aber Elvi richtet sich nach ihrem eigenen Plan, der aus ihrer langen Erfahrung entstanden ist.
Schon mehrere Jahre füttert Elvi ihre Hunde mit natürlicher Nahrung. Zu ihrem Anwesen gehört ein halber See, sie selbst angelt nicht, aber Angler bringen ihr oft Fische, die sie nicht wollen. Die werden von Elvi im Brotofen getrocknet, dann gemahlen oder am Stück verfüttert. In der Nähe befindet sich ein Rentierhof, da kauft sie Fleisch für sich und die Hunde. Hunde fressen auch gerne Omelett und um den Kalbsbraten aus dem Ofen gibt es Kämpfe, wer mehr bekommt, Elvi oder ihr Liebling. Auf meine Frage, wie viele Hunde Elvi in den Jahren aufgezogen hat, schüttelt sie den Kopf und sagt – keine Ahnung, sie hätte erst in den letzten zehn Jahren angefangen zu zählen. Und da ist sie auf 30 gekommen. Ich empfinde eine tiefe Ehrfurcht vor dieser Frau. Zum Abschied wage ich noch zu fragen, wie alt sie selbst sei. Elvi erwidert schelmisch: 25 x 3,5, also ist sie 78 Jahre alt und fühlt sich zur Zeit noch sehr vital. Doch mit 80 Jahren gedenkt sie, die Welpenaufzucht an den Nagel zu hängen.
Juha, Elvi, Ali und der zukünftige Blindenführhund Olle warten in Jugla vergeblich auf Olles Patenfamilie…
Zu unserem Gespräch gesellt sich Sirpa Tenhami. Sirpa hat 3 Welpen aufgezogen, die zu ihr kamen, als sie noch ganz winzig waren. Sie arbeitet auch aktiv im Zuchtverein, in dem sich Hundezüchter aus Finnland vereint haben. Um Geld für die Hunde zu erhalten, werden z.B. T-shirts und Beutel bedruckt. Alles hat damit angefangen, dass ihre Tochter Sehprobleme hat. Vor 15 Jahren bekam sie einen Blindenführhund, und Sirpe fing an, oft in Gesellschaft von Sehbehinderten zu sein. Durch genaues Beobachten lernte sie, Sehbehinderte zu führen, ihre Probleme vorauszusehen. Sie macht sich immer wieder Gedanken, was man verbessern könnte, um den Sehbehinderten das Zurechtfinden im Alltag zu erleichtern. Sehbehinderte Menschen sind sehr darauf bedacht, selbstständig zu sein, man darf sie nicht an die Hand nehmen und mit sich ziehen. Man benötigt ein besonderes Einfühlvermögen, um ihnen beinahe unbemerkt die Richtung zu weisen. Vor 10 Jahren hat Sirpe ihren ersten Patenwelpen zu sich genommen. Er wurde wie ein normaler Hund erzogen, ohne besondere Vorbedingungen. Beim nächsten Welpen mussten beide sich in Geduld üben, was viel Arbeit erforderte. Aber zum Schluss hat man ein sehr gutes Gefühl. Wenn man noch erlebt, welch große Hilfe und Bedeutung der Blindenführhund für den Sehbehindeten ist, freut man sich mit und fühlt auch ein wenig Stolz für sein Geleistetes. So sind alle Schwierigkeiten schnell vergessen!
Vereinsmitglieder und die Gästen aus Finnland
Ligita Damberga
Riga, August 2014